Einblicke: Kolumne „Zentralschweiz am Sonntag“

KOLUMNE IN DER ZENTRALSCHWEIZ AM SONNTAG

Romano Cuonz, Journalist und Publizist Sarnen.

Einblicke

Vom Januar- ins Februarloch

„Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht!“ erkläre ich ziemlich grossspurig meiner Frau, als sie das Januarloch in unserer Haushaltskasse erwähnt. Wo ich denn diesen blödsinnigen Spruch  schon wieder aufgeschnappt habe, will sie wissen. Von wegen blödsinnig: Diese Erkenntnis – wenn auch aus etwas prominenterem Munde und um eine Spur griffiger formuliert – stellte am WEF in Davos sogar neunmalkluge Globalisierungs- und Freihandelsstrategen in den Schatten: jedenfalls, was die Medienpräsenz anging! Was aber dem „Grössten“ auf dieser Welt recht ist,  sollte uns Kleinen wenigstens billig sein!

Ergo: ab sofort übernehme ich das Haushaltsbudget: Investiert wird nur noch in Geschäfte, die „first of all“ für uns lukrativ sind! Jawohl: Kopfrechnen werde ich. Wäre ja gelacht, wenn sich unsre Hauswirtschaft nicht schon in der ersten Februarwoche aus dem finsteren Januarloch zur hellen Davoser Sonne aufschwingen würde. Ein Klacks bei all den aktuellen Angeboten: zuerst kaufe ich Papiertaschentücher. Packweise mit 50 % Rabatt und Suisse Garantie: „Da lueg i druuf!“ Zwei Vorteile hat dieser Deal: Keine teuren Waschmittel mehr. Kein Strom fürs Bügeln. Und „Uncle Ben‘s“ würzige Express Paella mit Paprikawurst erst! Die gibt‘s jetzt zum sagenhaften Einführungspreis von 3.15! Darüber hinaus will mir der Superladen gar noch ein Reisespiel für die Grosskinder schenken … allerdings erst ab 100 Franken Einkauf. Nun denn: posten wir halt – zum besten Preis der Schweiz –  noch einen Bohrschrauber und Winkelschleifer inklusive Tasche für 99 statt 279 Franken. Do it yourself, statt fremde Handwerker im Haus: das passt doch auch!

Allerdings: Irgendetwas läuft schief: Zwar boomt die Wirtschaft unter meiner Führung. Nur mit der Rendite klappt es nicht so recht. Mindestens längerfristig gesehen. Paprikawurst –und sei sie noch so günstig – isst bei uns niemand. Die Kosten für Abfallsäcke, auch wegen der Papiertaschentücher, sind enorm. Mit dem ultramodernen Bohr- und Winkelschleifer ist einer wie ich, der noch nie einen Nagel gerade eingeschlagen hat, schlicht überfordert. Bleibt als Aktivposten gerade mal das Gesellschaftsspiel. Ja, ist es denn blosser Zufall, dass dieses ausgerechnet Kopfrechnen voraussetzt? Und dazu erst noch einen Amerikanisch-Englischen Namen hat: „Make’n’Break!“

Romano Cuonz

 

Einblicke

Kurs für Wutbürger

„Vor Wut kochen, schäumen, Wände hoch und an die Decke gehen, ja platzen könnte man!“ rufe ich aus. Und zeige auf fette Schlagzeilen: „Millionenbetrug bei Raiffeisen!“ Haben die nicht auch Geld von mir? „Bschiss beim Gelben Riesen!“ Ja, löse denn nicht auch ich viel zu teure Postauto-Fahrkarten? Und, und, und …. Stammtischfreund Wisi grinst. Auf derart martialische Weise mache heute niemand mehr seiner Wut Luft. Sowas sei längst eine digitale, ja sogar eine sehr soziale Angelegenheit. Ob ich denn noch nie etwas von „Social Media“ gehört hätte?

Ein Seniorenkurs zeigt mir dann  sämtliche Ventile für Wutbürger auf! Nun hätte ich eigentlich bloss noch die Qual der Wahl: Facebook, You Tube, WhatsApp, Instagram oder Twitter? So einfach ist das. Warum  muss dieser Kursleiter unserem Eifer dann doch noch einen Dämpfer aufsetzen? Alles, was man in heiligem Zorn poste, blogge oder chatte sei von unendlicher Reichweite, warnt er. „Tippt ins Worldwide Web nur, was ihr auch auf der Strasse jemandem direkt ins Gesicht zu sagen wagt!“

Schon auf dem Heimweg werden böse Erinnerungen wach. Wie war das noch? Vor genau 50 Jahren. Damals, im 1968! Was für eine gewaltige Wut hatten wir da im Bauch! Gegen diesen fetten kapitalistischen Bonzen, der in Lausanne alle Kinos aufkaufte,  Einheitspreise einführte und jede Ermässigung für Studenten strich. Protestieren wollten wir. Wenn nötig mit Gewalt. Wie einst Che Guevara, dessen Konterfei an allen Wänden der Uni prangte. Jedoch: Als ich nur schon von weitem sah, wie Polizisten samt ihrer ultramodernen  „Antidemoausrüstung“ aufmarschierten, besann ich mich eines Besseren. Vielleicht hatte ja doch der alte Grieche Euripides Recht? Der nämlich sagte: „Vorsicht ist die rechte Tapferkeit!“ Eilig erstand ich – obwohl viel zu teuer – eine  Eintrittskarte für Claude Chabrols Film „Das Auge des Bösen“. Und verschwand dann flugs im Kino.

Als Tränengas durch die Lüftung drang, nahm der Spass ein abruptes Ende. Und trotzdem war ich heilfroh, mit  zwei „weinenden Augen“ davon gekommen zu sein. Nein, das Zeug zum Wutbürger habe ich definitiv nicht. Und deshalb nehme ich –  trotz all des im Seniorenkurs neu erworbenen Wissens –  auch jetzt wieder zu meinen alten Griechen Zuflucht. Zu Seneca diesmal.  Der rät: „Das grösste Gegenmittel gegen den Zorn ist der Aufschub!“ 

Romano Cuonz

 

Einblicke

Bibel: Buch für alle Fälle

 „You‘ ll never walk alone … !“ Vielstimmig grölen Fans die Hymne. Und ich „alter Esel“ vor dem Bildschirm stimme mit ein: nur weil ich Liverpool beim Siegen helfen möchte! Stammtischkolleg Wisi gibt mir einen unsanften Stups. Eigentlich sei es ziemlich daneben, solche Worte  für den Fussball zu missbrauchen, meint er. Und fast vorwurfsvoll: „Die stammen aus der Bibel und lauten bei Matthäus ursprünglich ‚Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende‘ – Punktum!“  

„Nun, so weit voneinander entfernt sind  Bibel und Fussball auch wieder nicht“, kontere ich. Wie oft sieht man nach „wunderbaren“ Toren, wie sich Fussballgötter mit reich tätowierten Armen vor der Fankurve niederknien. Oder gleich mehrfach bekreuzigen! Und ich kann sie sogar verstehen! Wenn im Römer Stadion -zig Tausend Fans  mit ihrem alten Dichter Juvenal lautstark nach „Brot und Spielen“ – natürlich mit dem besseren Ende für ihr Team – schreien,  tut man als Lieferant gut daran,  sich irgendwie abzusichern.

Und wo – wenn nicht in der Bibel – fände man dafür das geeignete Rezept? Da verspricht etwa Matthäus:Und alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr‘s glaubt, werdet ihr’s empfangen! Ein Problem könnte jetzt nur noch entstehen, wenn Spieler von gegnerischen Mannschaften gleichzeitig um den Sieg bäten. Doch die Bibel – das „Buch der Bücher“ – hält  sogar für diesen Fall noch einen freundlichen Ratschlag bereit. Den selbst nach gröbsten Patzern noch ganz anständig verdienenden Versagern ruft Matthäus zu: „Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen.“

Von Fussballgöttern einmal abgesehen: Vielleicht täte mehr Bibellektüre allen gut. Der frühere Einsiedler Abt Martin Werlen hat da ein einfaches Rezept. „Die Liebe zur Heiligen Schrift habe ich nicht durch das Wissen gefunden, sondern durch das Verkosten einzelner Sätze“, schreibt er. Machen wir die Probe aufs Exempel! Ob die Bibel beispielsweise auch einem wie mir etwas zu sagen hat? Einem, der sich im Alltag über so vieles – sogar über falsche Schiedsrichterentscheide –  aufregen kann und dabei seine eigene Meinung gar wichtig nimmt. Ja siehe da: Jakobus meldet sich  zu Wort. „Was ist schon euer Leben? Ein Dampfwölkchen seid ihr, das für eine kleine Weile zu sehen ist und dann wieder verschwindet“, ermahnt er mich und meinesgleichen.

Romano Cuonz

 

Einblicke

Von Hörnern und dem  I-KUH

„Das geht doch wirklich auf keine Kuhhaut mehr“, schimpft Stammtischkollege Wisi und zeigt das Bild eines  jurassischen Bauern mit weissem, zerzaustem Bart und Wollkäppi in der Zeitung. Der wolle die Hörner seiner Kühe doch tatsächlich in der Bundesverfassung verankern und überdies noch würdevoll subventionieren lassen! „Ob so viel Unverfrorenheit schauen selbst clevere Parlamentarier fast noch dümmer drein als die Kühe!“ ereifert sich Wisi.

Jetzt ist es an mir, meinem Kollegen die Hörner zu zeigen.  Zur mittlerweile nachgerade staatspolitischen Frage, ob horntragende Nutztiere nützlicher und natürlicher sind als „Enthornte“, enthalte ich mich der Stimme. Die infame Behauptung aber, dass Kühe dumm in die Welt glotzen, kann ich nicht stehen lassen. Da bin ich nämlich ein gebranntes Kind. Wie ich vor Jahren – als Moderator im Schweizer Radio –genau dies behauptet hatte, brach im Studio das Telefonnetz zusammen. Besitzer der „Bruune, Gääle, Gfläckäte, Tschäggäte“ aus dem ganzen Land  protestierten lautstark. Kühe würden sanft,  allenfalls treuherzig, oder vielleicht etwas traurig, dreinschauen. Aber nie und nimmer dumm glotzen.

Schon in der nächsten Sendung entschuldigte ich mich bei allen Schweizer Kühen. Im Lexikon steht nämlich: Gemäss Tierforschung sind Kühe sehr intelligente Tiere. Besitzen sie nicht einen IQ, so doch mindestens einen I-KUH!  Via Ohrenspiel  teilen sie Genossinnen mit, wie es ihnen geht. Sind Kühe durstig, betätigen sie den Hebel einer Tränke und zeigen dann ihre Freude. Muhen sie laut, gilt dies dem Bauern und heisst: „Bitte melken!“ Mich selber erstaunt, wie jeweils Nachbars Kühe an den Gartenzaun kommen, wenn die Grosskinder aus der Stadt bei uns sind. Und wie klug sie gucken! Als wollten sie sagen: „Schaut her, uns gibt es nicht nur im Bilderbuch!“

Wiewohl Wisi bereits ziemlich  dumm glotzt, spiele ich noch meinen stärksten Trumpf aus: „Vergessen wir nicht die fitteste und klügste aller Schweizer Kühe“, sage ich: „die schwarzweiss gefleckte, imposant gehörnte ‚Lovely‘!  Wenn die mit dem Fussball jongliert und Tore schiesst, erblassen selbst Shaqiri, Rodrigues und Seferovic vor Neid. Dieses Argument sticht. Stammtischkollege Wisi ruft der Serviertochter:  „Ein Glas Mil… will er sagen. Doch dann: „Äh nein, vielleicht doch lieber ein „Herrgöttli“!  

Romano Cuonz

 

Einblicke

Tell: Eidgenosse oder Secondo?

„Früh übt sich, was ein Meister werden will, und mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt!“ zitiert Stammtischkollege und Schütze Wisi den wackeren alten Willy Tell. Und nimmt dann einen tüchtigen Schluck auf den Urner Helden. Natürlich: der 1. August naht mit Riesenschritten. Als Schweizer Volksvertreter hat Wisi eine einfache Erklärung zu Tell: Seine Geschichte überliefert ein  Obwaldner Landschreiber namens Hans Schriber im Weissen Buch von Sarnen. Ergo ist der Nationalheld ein Eidgenosse. Ein „Rechter“ durch und durch, den Redner in Festzelten beim Wort nehmen sollen.

Wie bitte? werfe ich ein. War es nicht ein Fremder, der dem Tell all die geflügelten Worte in den Mund gelegt hat? Ein Habsburger gar, namens Friedrich Schiller. Und überhaupt: Ist Tell nicht eher „Sozi“? Wo er doch seiner Frau Hedwig bei einem politischen Disput zuruft: „Ein jeder wird besteuert nach Vermögen!“ Im Kanton Obwalden, wo, dank Flat Rate Tax, ein einheitlicher Steuertarif für alle Einkommen gilt, würde man so einen heute als Ketzer an den Pranger stellen!

Da hält man sich doch lieber an „yserä äinä“: An Arnold von Melchtal. Der ruft Tell entgegen:Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz.“ Und ein Unterwaldner Delegierter auf dem Rütli fügt  – in weiser Vorausschau auf geplagte Urner Steuerzahler im Jahr 2018 –  gar noch spöttisch bei: „Wir sind die ersten auf dem Platz, wir Unterwaldner, die Urner sind‘s, die am längsten säumen.“ Selbst in Sachen Einbürgerungen liegen Tell & Co. auf Linkskurs. Als die Österreicherin Bertha von Bruneck fragt: „Wollt ihr als eure Bürgerin mich schützen?“ protestiert keiner. Nicht einmal  Urner Deutsch muss sie lernen. Im Schillerschen Pathos darf sie sich als Doppelbürgerin bewerben!

Und wenn ich als Festredner nun einmal Fahrt aufgenommen habe: Der Schütze Tell selber ist nichts anderes als einer jener Secondos, ohne deren sportliche Leistungen wir Schweizer niemand wären. Selbst wenn seine Familie seit 1291 in der Schweiz lebt: Tells Ahne heisst Toko und ist ein Pfeilbogenschütze und Spitzen- Skifahrer aus Skandinavien, der auf Befehl des bösen Königs Blauzahn seinem Sohn einen Apfel vom Kopf schiesst. Welch ein Zufall!  Ob es da verwunderlich ist, dass unser fremder „Sänger“ seinen  Tell den Schweizern  zurufen lässt:„Jede Straße führt ans End‘ der Welt.“

Romano Cuonz

 

Einblicke

Nomen est Omen!

Während einer Velotour habe ich mit dem iPhone die schöne, grüne, Aare eingefangen: in Koblenz, wo sie in den dort weit weniger stattlichen Rhein mündet. Stammtischkollege Wisi wirft einen Blick aufs Bild. Dann konstatiert er dezidiert: „Da haben wir den Beweis: Name ist halt in unserer Welt doch nicht Schall und Rauch!“

„Wagt da einer gar Fausts Zitat zu korrigieren!“ rufe ich aus. Doch Wisi pariert: „Stell dir einmal vor, was heute alles anders wäre, wenn die Aare – was ihr als schweizerisch längstem und wasserreichstem Fluss eigentlich zustünde  – ihren Namen  behalten hätte.“

„Die Beppis müssten ‚Z Basel a myner Aare‘ singen“, sagt er. Und mit erhöhtem Eifer: „Rheinland-Pfalz hiesse Aarland-Pfalz, Wagners Oper  Aargold und statt den berühmten Rheinwein würden wir Aarwein trinken.“ Schuld, dass es nicht so ist – davon ist Wisi überzeugt – sind nur die arroganten Römer. Die hatten sich erfrecht, geographische Namen nach Belieben zu verteilen.

Jetzt fällt’s mir wie Schuppen von den Augen: Kein einziger dieser alten Römer hat wohl so unverfroren  und selbstherrlich geographische Namen kreiert wie der Obwaldner Bauernsohn Franz Josef Bucher. Wie dieser 1871 über dem Vierwaldstättersee einen Bauplatz kauft, befindet sich dort noch die „Alp Tritt“. Das ist ihm zu wenig nobel. Flugs erfindet er den Namen „Bürgenstock“. Und als sein Promiberg berühmt wird, kuscht sogar die sonst so pingelige Landestopographie vor ihm.

Dies ermutigt den Hotelkönig, sich weiterhin als Geograph in eigener Sache zu betätigen. Das  Dörfchen „Kirsiten“ am See – es hat seinen Namen ursprünglich von Kirschbäumen –  tauft er in „Kehrsiten“ um. Einzig und allein, weil dort auf seinen Befehl die Dampfschiffe „kehren“ sollen! Ja, gar noch weiter geht er: Die Bergstation eines Bähnchens in Genua tauft er auf alle Zeiten „Rigi die Genua“. Seinem Schweizer Konkurrenzberg „z‘ Läid und z’Trotz“!

Was dem Hotelkönig und den Römern recht war, muss mir billig sein, finde ich. Und lasse für ein Buch, das zum „Grand Opening“ des Bürgenstock-Resorts erscheint, gleich nochmals einen neuen Namen und Titel urheberrechtlich schützen: „Der Hotelberg“! Zugegeben: ein bisschen abgeguckt bei Thomas Manns berühmtem „Zauberberg“ habe ich da schon. Doch, wie pflegten schon die alten Römer zu sagen: „Nomen est Omen!“    

 Romano Cuonz

 

Einblicke

Meine Bundesrats-Prognose

„Wer eine Gelegenheit nicht beim Schopf packt, dem weist sie den Hintern!“, ruft Stammtischkollege Wisi aus. Um ehrlich zu sein: in Obwaldner Mundart hört sich das etwas weniger respektvoll an! Jedenfalls schaue ich ihn verdutzt an. „Ist doch wahr“, wettert Wisi weiter, „da hätten wir Obwaldner eine weitere Chance auf einen Sitz im Bundesrat gehabt. Eine viel reellere als die Nidwaldner obendrein!“ Dann, mit einem Tremolo in der Stimme: „Doch was tut unser ‚Erich‘? Winkt einfach ab! So mir nichts dir nichts.“

Nun ja: Bundesratswahlen geben allenthalben zu reden. Sogar an der Obwaldner Viehschau spricht mich eine Frau darauf an. Ob ich mich eigentlich noch erinnere, fragt sie, was ich dem kleinen Erich vor 40 Jahren gesagt hätte? Vergeblich bemühe ich mein Gedächtnis. Die Frau – eine ehemalige Schülerin von mir – grinst. „Erich“, hätte ich, nach einem brillanten Vortrag in Staatskunde, zu ihm gesagt, „wenn du so weiter machst, wirst du gewiss einmal Bundesrat!“

Nach und nach kehren Erinnerungen zurück: Ich war damals ein junger, recht selbstbewusster Lehrer. Eine Tatsache jedoch hielt ich mir stets vor Augen: Dass Lehrer immer auch Kinder vor sich haben, die ihnen in diesem oder jenem Bereich überlegen sind. Selbst wenn sie es noch nicht so recht zeigen dürfen!

Erich Ettlin war so einer. Fast ein bisschen neidisch konstatierte ich, welch aussergewöhnliche Sozialkompetenz dieser Bub aus einer Grossfamilie besass. Selbst wenn er Dinge besser, klarer, ja ganz genau wusste, hielt er sich oft zurück. Nur um auch andere zu Wort kommen zu lassen. Wohl deshalb verstieg ich mich – wenn auch scherzhaft – zu einer Bundesrats- Prognose.

Klüger wird man erst, wenn man mehr versteht als man weiss. Jetzt – nach der unerwarteten Absage des aussichtsreichen Kandidaten – dämmert mir, warum meine damalige Prognose durchaus richtig, aber halt doch wieder falsch, gewesen ist. Richtig, weil, wer immer in der CVP die Ausnahmepolitikerin Doris Leuthard beerben möchte, über aussergewöhnliche fachliche, kommunikative und sprachliche Fähigkeiten verfügen müsste. Die besässe Erich Ettlin. Falsch, weil ich doch hätte wissen müssen, dass sich einer mit seiner Sozialkompetenz niemals vordrängen wird. Dass er anderen – selbst wenn deren Ehrgeiz grösser als ihre Brillanz sein sollte – den Vorrang lässt. Leider.

Romano Cuonz

 

Einblicke

Vor Besinnung ganz von Sinnen!

„Sehet, die erste Kerze brennt“, trällere ich vor mich hin, wie ich auf unserem Stammtisch den Tannenzweig mit einer zaghaft flackernden Kerze entdecke. Kollege Wisi lacht. „Eine einzige Kerze!“ ruft er aus. „Was ist das schon?“ Und sogleich fängt er an, auf seinem iPhone herum zu tippen. „Das TV-Adventsfest von Florian Silbereisen hättest du reinziehen müssen!“ sagt er, und rezitiert dann mit zuckersüssem Schlagerschmelz in der Stimme: „Und brennen 100‘000 Kerzen überall im ganzen Land, dann kann man endlich Weihnacht spür‘n, es reichen alle sich die Hand.“

Inzwischen brennt die 2. Kerze, doch von wegen Weihnacht spür‘n: Ich habe die Sendung tatsächlich „nachgeguckt“ und mich vom Schrecken noch immer nicht erholt. So viel Kitsch aufs Mal habe ich noch selten gesehen: wie da der umtriebige Florian Silbereisen mit einer hyperaktiven Michelle Hunziker „Petersburger-Schlitten“ fährt. Wie Mireille Mathieu tremoliert und André Rieu müde dirigiert. Wie Ben Zucker seinem Namen alle Ehre macht und man nicht einmal vom offenbar unvermeidlichen Revival der gealterten Kelly Family verschont bleibt! Doch es soll ja Leute geben, die diese Show mögen. Jedenfalls twittert eine erboste Dame all uns Kritikern zu: „In der Adventszeit bitte einfach mal ein bisschen besinnlicher sein!“

Spätestens, wenn die 3. Kerze brennt, nehme ich mir vor, besinnlicher zu werden. Advent bedeutet doch Ankunft! überlege ich. Alle warten wir sehnlichst darauf, dass diese „Mary“ ihr „boy child“ endlich zur Welt bringt. Jedoch: was heisst da „Warten“? Das kann doch bei uns längst keiner mehr. Shoppen hier. Stressen dort. Vor lauter Einladungen zur feierlichen Einkehr und Besinnung sind wir bald ganz von Sinnen. Dabei sind wir doch bloss redlich bemüht, die letzte Illusion von Weihnachten aufrecht zu erhalten.

Aber noch eh die 4.Kerze brennt, ist’s mit Besinnung endgültig vorbei. Nun beginnt nämlich – gar nicht viel anders als in Florian Silbereisens goldiger Show – „die Riesenkleckerei in der Zuckerbäckerei mit mancher Leckerei!“ Und brennen dann am Christbaum endlich– wenn auch nicht gleich 100‘000 – so doch viele schöne Kerzlein, ist – wer immer davor sitzt – so ziemlich „burned out.“

Romano Cuonz

 

Einblicke

Die Krux mit Unsternen

 

„Abwarten und Teetrinken! ist das einzige, was ich jetzt noch kann“, jammert mein Stammtischkollege Wisi. Und bestellt – mit zitternder Stimme und um eine Spur blasser als sonst – tatsächlich einen Pfefferminztee. Nein, krank sei er nicht, versichert Wisi. „Aber da!“ ruft er und deutet vielsagend auf sein Leibblatt. „Mein Horoskop für diese Woche. Alarmierend!“ Und wirklich, da steht es schwarz auf weiss: Lieber Widder, diese Woche trifft sich Merkur mit Pluto und bringt ihre Finanzen ins Wanken. Doch damit nicht genug: da sei auch noch das Quadrat von Sonne und Uranus, so dass es gerade am Wochenende drunter und drüber gehen werde.

„Es gibt mehr Ding‘ im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit träumt“, hat schon Hamlet gewarnt. Und ich? Was mache ich? Lebe einfach so in den Tag hinein. Höchste Zeit, einmal nach meinen Sternen zu gucken. Oh Schreck: Ich bin eine Jungfrau mit Aszendent Jungfrau. Schlimmer geht’s nun wirklich nicht. Und wenn sich – wie in dieser Astrowoche – Herrscherplanet Merkur noch mit dem Neptun verbindet, kumulieren all meine üblen Eigenschaften: Das ständige Besserwissen. Der pedantische Ordnungswahn. Und erst das farblose Dasein eines unheilbaren Sicherheitsfreaks! Einziger Lichtblick: In mir ruht – unter kühler Schale tief verborgen – noch ein romantischer Kern. Wohl deshalb rät mir eine skurrile Marquise du Deffand dringend, einen ersten Schritt zu tun: „Melden Sie sich doch zu einem Bastel- oder Malkurs, je nach Interesse!“

Uff! Leider hab‘ ich seit eh und je zwei linke Hände. Wie soll das gut gehen? Zum Glück hält das Horoskop noch eine Alternative parat: An berühmten „Jungfrauen“ solle ich mir ein Beispiel nehmen! Etwa an Mutter Teresa? Unmöglich. Dann doch eher an Sean Connery. Nur: wie kann ein „Sicherheitsfreak“ sich zu einem James Bond wandeln? Bleibt noch Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe: Ja, das wär‘ ein Ding! Nur: diese „Jungfrau“ ist für mich wohl doch eine Schuhnummer zu gross.

Merkur und Neptun helfen ihnen, instinktiv das Richtige zu tun, verspricht mein Horoskop ganz zum Schluss. Ach ja: da ist doch noch diese farbige Glaskugel aus meiner Kinderzeit. Die brauch‘ ich nur umzudrehen und zu schütteln, und schon zeigt sie mir, was wirklich Sache ist: Schnee und nochmals Schnee. Schnee von gestern. Und Schnee für morgen.

 

Romano Cuonz

 

Einblicke

Fastnachtsmuffels Geständnis

„Nur an der Fasnacht ist noch alles erlaubt“, trompetet Stammtischkollege Wisi in kakofoner Lautstärke. Dann meldet er sich für eine närrisch lange Woche ab. Seine vorläufig letzten Worte: „Wetten, dass ihr mich nicht mehr kennt!“ Und ich? Nun, mir wird nur schon beim Gedanken an Abertausende Konfettischnipsel in Haaren und Kleidern angst und bange. Ja: ich bin ein hoffnungsloser Fall von Fastnachtsmuffel!

Indessen: Jeder wird aus irgendeinem Grund wie er ist. Nicht mit einem Urknall beginnt meine Geschichte. Vielmehr mit einem Urerlebnis: Die Lehrerin, eine gütige Klosterfrau, verspricht uns Erstklässlern: „Die bravsten Knaben und Mädchen dürfen sich an der Fasnacht in richtig kleine ‚Negerli‘ verwandeln.“ Das möchte ich! Und ich weiss auch, worauf‘s ankommt. Ab sofort stecke ich jeden Räppler, den mir Mutter fürs Posten gibt, ins Kässeli der Schwester. Drauf kniet ein darbendes „Negerli“, das bei jeder Münze mit dem Kopf nickt. Genau wie die Klosterfrau.

Ein Mädchen mit lockigem Haar und ich schaffen es: Wir dürfen schwarze Pullover, Strumpfhosen und lustig gelbe Baströcklein anziehen. Unsere Köpfe malt die Schwester schwarz an. Die Lippen feuerrot! Voll Stolz ziehen wir von Haus zu Haus. Ein nettes Sprüchlein rührt die Leute zu Tränen. Deshalb lassen sie das mitgebrachte „Kassennegerli“ Mal für Mal nicken. Obendrein gibts‘s oft noch „Chräpfli“ oder „Schoggeli“ für uns arme Schweizer „Negerli“. Und wie wir abends mit prallvollem „Kässeli“ den Rückweg antreten, fragt mich das hübsche „Negermädchen“ neben mir ganz andächtig: „Möchtest du mich heiraten?“

So ein romantisches Erlebnis wäre heute undenkbar. Rassistisch gar! Wohl deshalb wurde ich zum Fastnachtsmuffel. A propos: dabei leistet mir ausgerechnet der Winter beste Gesellschaft. Auch der hat sich abgesetzt, noch bevor „Guuger“ Wisi ihn laut trompetend austreiben kann.

Romano Cuonz

 

Einblicke

Ein Fall für „Superhäsli“

„Man muss halt wissen wie der Hase läuft!“ verkündet Stammtischkollege Wisi. Dann nimmt er aus dem Körbchen auf dem Tisch ein farbiges Ei und zitiert dazu seine ganz eigene Bauernregel: „Legt der Hase Eier für uns ins das Nest, dann feiern wir das Osterfest!“ Heiterkeit kommt auf! Nur mir ist nicht zum Lachen zumute. „Unser guter alter Osterhase läuft gar nicht“, werfe ich ein. „Nicht einmal mehr hoppeln mag der!“

Als Kinder glaubten wir noch allen Ernstes, dass der Osterhase Eier färbe. Natürlich hat die Hasensippe so etwas nie getan. Nur: früher fiel dem Langohr das Flunkern noch leichter. Seit ihm aber Ökofreaks und Tierschützer ins Handwerk pfuschen, ist’s damit vorbei. Nur schon bei den Lieferanten und Lieferungen besteht Deklarationspflicht. Ein Osterhase muss heute Eier von glücklichen und unglücklichen, von patriotischen In- und fremden Auslandhühnern, gehalten in Freilandzucht oder Massentierhaltungen, verköstigt mit oder ohne Biofutter strengstens trennen. Schwindelt er dabei, protestieren längst nicht mehr nur die Hühner!

Zwar hat der Osterhase – wie alle Hasen – seine Augen Tag und Nacht offen. Doch nicht einmal mehr dies hilft ihm. Arg stressig ist sein Job geworden. Kaum sind die Nikoläuse aus den Regalen geräumt, schreien Grossverteiler auch schon nach Schokoladenhasen und Zuckereiern. Die Lieferfristen unzumutbar! Dies umso mehr, als der Hasensippe in unseren zersiedelten und verdichteten Landschaften kaum noch Produktionsstätten zur Verfügung stehen. Dem Osterhasen bleibt nur noch eines: Das „Ei des Kolumbus“ müsste er entdecken!

Die zündende Idee kommt dann aber von einem Supermarkt. Der lässt für „Superostern“ durch seine Regale „superherzige Superhäsli“ flitzen. Sami, Kiki, Mira, Mo und Max tragen – wie einst Superheroes– Masken und Umhänge. Geht es darum, die Kauflust der Kunden zu erhöhen, besitzen sie wahrhaft „überhäsliche“ Kräfte. Ja, der gute alte Osterhase darf getrost in Pension hoppeln!

Was aber, wenn die „Mission „Superostern“ besorgten Eltern doch zu kriegerisch wäre? Auch für diesen Fall ist man gewappnet. Maske und Umhang lassen sich abnehmen, und flugs werden kämpferische „Superhäsli“ zu niedlichen Plüschtierchen. Nun kann nur noch etwas das friedvolle Osterfest vermiesen: Der „Krieg „– wenn auch nicht „der Sterne“ – so doch der „Tütschi-Eier“!

Romano Cuonz